Mit Gemüse und Gartenarbeit das Wohlbefinden fördern

Ein Besuch beim Schulgarten der Beruflichen Schule für Medien und Kommunikation in Hamburg

Nach den Sommerferien 2021 startete an der Beruflichen Schule für Medien und Kommunikation in Hamburg eine Healing-Classrooms-Fortbildungsreihe mit Kolleg*innen der AVM-Klassen (Ausbildungsvorbereitung für Migrant*innen).  

Während der Diskussionen zum psychosozialen Wohlbefinden von geflüchteten Schüler*innen, kamen wir immer wieder auf ein Projekt zu sprechen, das in der Schule bereits erfolgreich etabliert ist: Der Schulgarten. 

Wie der Garten geplant wurde, wie dieser eingebunden ist und was dieser mit Schüler*innen macht, erzählt die Schule am besten selbst.

Wenn Sie wissen wollen, was es für eine Umsetzung und Einbindung eines Schulgarten an Ihrer Schule alles braucht, klicken Sie hier.  

Wie ist der Schulgarten zustande gekommen? 

Im Rahmen einer Fortbildungsreihe über das Projekt „Landungsbrücke 2“ wurde ein Schulgartenkonzept entwickelt, welches die psychosozialen Ressourcen unserer Schüler*innen sowie deren Resilienz im Übergang von der Schule in die Ausbildung bzw. den Beruf fördert. Dieses Praxisvorhaben dient dazu, das Thema „Förderung des seelischen Wohlbefindens“ in die Strukturen der Schule zu übertragen. Besonders im stressbeladenen Schulalltag, bietet ein neuer, naturnaher Lernort die Chance für einen individuellen Lernprozess.

Die Natur dient als wertvoller Helfer indem sie die Resilienz stärkt und die Gesundheit fördert. Unter diesen Voraussetzungen konzipierten wir innerhalb des Kollegiums des Bildungsganges AVM-Dual einen Schulgarten, welchen wir gemeinsam mit den Schülern*innen anlegten und unterhielten. Durch die Gartentätigkeiten werden die Schüler*innen ermutigt, neue Erfahrungen zu machen und zu meistern. Sie lernen den Kreislauf von der Saat bis zur Ernte kennen, bekommen einen Bezug zu gesunden Lebensmitteln, deren Herstellung und Weiterverarbeitung, und erfahren die damit verbundenen gesundheitsförderlichen Aspekte dieses Praxisvorhabens durch eigenverantwortliches, gestalterisches Arbeiten in und mit der Natur. Bei diesem Lernen werden die Selbstkompetenzen der Jugendlichen gestärkt wie zum Beispiel ihre Selbstwirksamkeit, ihr Verantwortungsgefühl, ihre Frustrationstoleranz, Ausdauer oder die Fähigkeit zur Selbstregulation, wenn einmal etwas nicht gelingt. Diese Kompetenzen sind wesentlich für das lebenslange Lernen und stärken präventiv die körperliche und mentale Gesundheit der Jugendlichen. 

Wie ist der Schulgarten in Schule und Unterricht eingebunden? 

Die Schulleitung stellte uns eine ca. 90 qm große Grundfläche, welche von einem Maschendrahtzaun eingefasst ist, zur Verfügung. Da in diesem Projekt die Förderung der Selbstwirksamkeit elementar ist, oblag den Schüler*innen die Gestaltung und Planung. Die Mitgestaltung ist gerade für die Schüler*innen aus dem AVM-Bereich ein wichtiger Faktor, um ihren positiven Bezug zur Schule zu fördern. Sie hatten die Möglichkeit sich auszuprobieren und wurden fächerübergreifend mit Impulsen der Fachkräfte darin bestärkt.

Die Schulgartenarbeit führt den Blickwinkel verschiedener Unterrichtsfächer zusammen und ermöglicht ein Lernen in Zusammenhängen. Im Matheunterricht wurde beispielsweise die Grundfläche des Gartens ausgemessen und aufgezeichnet. In Deutsch durften die Schüler*innen ihrer Kreativität freien Lauf lassen und ihren Traumgarten aufzeichnen. Jede*r durfte individuell entscheiden, wie sie*er den eigenen persönlichen Garten gestalten würde. Im Anschluss durften einige Schüler*innen ihre Entwürfe vor der Klasse präsentieren, wodurch parallel der Wortschatz erarbeitet wurde. Die Schüler*innen wurden hierbei auf angemessenem Kompetenzniveau gefördert. In diesem ersten Schritt waren auch wir als aufmerksame Lehrkräfte gefragt, mit Blick auf die Jugendlichen an sich, mit Interesse für ihre Bedürfnisse, aber auch für ihre Fragen und Wünsche.

Im zweiten Schritt durften die Schüler*innen nun in den Garten und sich frei entfalten. Aus den Träumen und Wünschen der Schüler*innen entstanden die ersten Entwürfe. Sie übernahmen die Verantwortung, erstellten einen Gieß-Plan, überlegten sich wie man Wege legen könnte, wo die Beete angelegt werden sollen und welche Saat sie pflanzen wollen. Der August, in dem der Schulgarten startete, bietet sich nicht als idealer Monat an, um Gemüse anzubauen, da im Spätsommer die Ernte vieler Gemüsesorten bereits eingefahren ist. So stand nur wenig Saat zur Auswahl. Unter anderem entschieden sich die Schüler*innen für Radieschen, Asiasalat und Grünkohl. Das eigenverantwortliche, gestalterische Arbeiten zeigte erste Erfolgserlebnisse, welche natürlich die Selbstwirksamkeit und das Selbstwertgefühl der Klasse stärkte. 

Bereits Ende September konnten die ersten Radieschen und Asiasalat geerntet werden. Eine Schülerin aus Afghanistan absolvierte ihr betriebliches Praktikum in der Schulcafeteria. Sie durfte einen Teil des Gemüses als Erste ernten und zu einem leckeren, frischen Salat weiterverarbeiten, welcher in der Mittagspause verkauft wurde. Damit Partizipation gelebt werden kann, gilt es bestimmte Schüler*innenkompetenzen bestmöglich zu fördern. In diesem Fall konnte die Schülerin ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, eigene Lernfortschritte sehen und die damit verbunden Ressourcen erkennen.  

Wie wird der Schulgarten von den Schüler*innen angenommen?

Natürlich sind neben den Erfolgen im Schulgarten auch Misserfolge bedeutsam. Exemplarisch dafür dient unser Basilikum, den ein Schüler aus Syrien in einem Supermarkt kaufte und weiter kultivieren wollte.  Obwohl er ihn sorgfältig pflegte, ging der Basilikum ein. Ein weiteres Beispiel war die Schubkarre, die ihren Reifen verlor. So mussten die Schüler*innen Schaufelweise neue Erde in den Garten befördern. Eine Aufgabe, die große Anstrengung und Geduld forderte.

Diese zu bewältigenden Situationen wurden von den meisten Schülern*innen als herausfordernd wahrgenommen, waren aber dennoch wichtige Meilensteine für die entstehende Selbstwirksamkeit. In solchen Fällen versuchten wir sie nicht generell zu entlasten, sondern halfen ihnen bei der Bewältigung der Schwierigkeiten und versuchten Hilfestellung zu geben. Diese Misserfolge dienen hervorragend als Lernfeld für Resilienz, denn sie bieten immer Chancen für einen zweiten Versuch. Letztendlich werden Erfolge und Misserfolge von allen gemeinsam als Klasse erlebt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl findet in der Schulgartenarbeit viel Potenzial.

Jede*r kann sich mit seinen Fähigkeiten einbringen und Erfolge haben, frei von Vergleich oder Konkurrenz. Die Freude über die eigene Ernte und das gemeinsame Kochen und Essen fördern das Miteinander in der Gruppe und schafft gute Erinnerungen. Ein besonderer Höhepunkt war deswegen unser Ernte-Tag, an dem die Schüler*innen sich in Gruppen aufteilten und das Gemüse aus dem Garten ernteten und von zwei Schülerinnen zu einem Salat verarbeiten ließen. Obwohl die Fläche unseres Schulgartens viel Raum bietet, gibt es nicht immer etwas für alle 12 Schüler*innen gleichzeitig zu tun. So entstand unser Garten-Logbuch, in das die Jugendlichen regelmäßig ihre Lernerfolge eintrugen, ihren Wortschatz durch Pflanzensteckbriefe erweiterten oder sich beim Malen von Mandalas einen Moment lang zurückziehen konnten, um zu entspannen. 

Auf welche Weise beeinflusst der Schulgarten das Wohlbefinden der Schüler*innen? 

Das Projekt Schulgarten fördert einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil für die Jugendlichen auf mehreren Ebenen. Gesunde Ernährung spielt hierbei eine große Rolle, denn die Schüler*innen lernen den Geschmack von frischem Gemüse kennen und entdecken abwechslungsreiche und gesunde Ernährungsweisen. Außerdem werden ihre körperlichen Ressourcen gefördert. Sie bewegen sich regelmäßig an der frischen Luft und sind aktiv. Dies trägt zu einer gesunden körperlichen und psychosozialen Entwicklung bei. Darüber hinaus werden wichtige Sozialkompetenzen weiterentwickelt. Sie werden zu bewussteren Konsument*innen und wirken in ihren Familien und ihrem Umfeld im Idealfall als Multiplikator*innen. Der Schulgarten fördert die Entwicklung der sozialen Kompetenzen, der Kooperationsfähigkeit, Empathie, Achtsamkeit und Partizipation, denn die Schüler*innen unterstützen sich gegenseitig, treffen Entscheidungen und lösen Probleme. Die gemeinsamen Erfahrungen stärken außerdem das Gemeinschaftsgefühl und festigen die Bindung zwischen Schüler*innen und Pädagog*innen. Psychische Ressourcen wie die Selbstwirksamkeit werden durch dieses Projekt ebenfalls gestärkt. Die Schüler*innen werden sich ihrer Handlungsfähigkeit auf dem Acker bewusst, denn die Gemüsepflanzen reagieren unmittelbar auf die Pflege. Der Erfolg wird in Form der Ernte belohnt. Sie entwickeln Vertrauen und Motivation, Aufgaben zu bewältigen und Ziele zu erreichen. Weitere Faktoren wie Problemlösefähigkeit und Selbststeuerung bilden wichtige Grundlagen für den Umgang mit Stress. Das Projekt bietet uns die Möglichkeit,die individuellen Stärken der Schüler*innen zu entdecken und zu fördern und somit ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstwertgefühl zu heben. Der Schulgarten soll deswegen in eine dauerhafte Entwicklung der Schule eingebettet sein, um als präventive Maßnahme die Gesundheit und Resilienz der Schüler*innen zu fördern. 

Falls Schulen angetan sind von der Idee eines Schulgartens: Was braucht es eurer Erfahrung nach für eine gute Umsetzung und Einbindung? 

Für die Etablierung des Schulgartens braucht es fachliches Know-how wie die Gartenmethode passgenau zur Resilienzstärkung der Schüler*innen eingesetzt werden kann. Deswegen haben wir uns für die langfristige Planung, Umsetzung und die Verankerung des Schulgartens in der Schule, externe Unterstützung geholt. Mit unserem Kooperationspartner der GemüseAckerdemie werden die durchführenden Fachkräfte mit Bildungsmaterial, Workshops und Live-Supervisionen weiter geschult und ausgebildet, um die Strukturbildung voranzubringen und die Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die GemüseAckerdemie ist ein mehrfach ausgezeichnetes Bildungsprogramm für Schulen. Durch die finanzielle Förderung der HAG ist es uns möglich dieses Bildungsprogramm zu finanzieren.  

Für die Einbindung sind die Wertschätzung der Jugendlichen, die Möglichkeit der Mitgestaltung im Schulalltag, erfahrungsbasiertes Lernen und die Integration von Ressourcenförderung in die pädagogische Arbeit wichtig. Mit diesen Erfolgsfaktoren lässt sich das Thema langfristig verankern und unterstützt die Jugendlichen, gestärkt ihren Alltag zu bewältigen und zukunftsperspektivisch erfolgreich mit belastenden Lebenssituationen umgehen zu können.