Die Justus-von-Liebig-Schule in Mannheim gewinnt einen Preis!

Zeynep Tan und Rolf Schirrmacher nahmen vor drei Jahren an unserer Workshopreihe Healing Classrooms teil. Sie sind zwei Lehrkräfte aus der Justus-von-Liebig-Schule, einer Berufsschule in Mannheim. Seither setzen sie das Konzept an ihrer Schule um. Wir haben mit Rolf und Zeynep am letzten Schultag 2020/2021 gesprochen. 

IRCWie war dieses Schuljahr für Euch und Eure Schüler*innen? 

Rolf Schirrmacher, Klassenlehrer einer Kooperationsklasse des Vorqualifizierungsjahrs Arbeit/Beruf mit den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren mit Förderschwerpunkt Lernen: Am Anfang des Schuljahres habe ich von IRC die neue Sammlung an Übungen bekommen. Obwohl ich schon früher mit dem Healing-Classrooms-Handbuch gearbeitet habe, habe ich mich besonders auf die 10 Module in der neuen Sammlung gefreut. Diese wurden gezielt für die berufliche Schule entwickelt, besonders für das Berufsorientierungsjahr, und das fand ich sehr hilfreich. Ich habe mich entschieden, einfach der Reihe nach die Module mit meiner Klasse durchzumachen. Manche Elemente waren kognitiv zu anspruchsvoll für meine Klasse; andere dafür waren genau das richtige, wie das sozial-emotionale Lernen. Also wenn Schüler*innen für sozial-emotionale Kompetenzen sensibel sind, dann sind das solche, wie die Förderschüler*innen. Aufgrund ihrer Misserfolgserfahrungen, die bei ihnen viel größer sind, als ihre Erfolgserfahrungen, die sie bisher im Leben machen konnten, haben sie einen hohen Bedarf an Förderung von sozialen und emotionalen Kompetenzen.  

Zum Beispiel haben wir uns mit der Klasse Gedanken dazu gemacht, warum eine Achtsamkeitsübung, wie die Bauchatmung, sinnvoll ist. Eigentlich ist sie im Teenage-Alter völlig albern. Ich habe solche Achtsamkeitsübungen nie gemacht und mich erst durch dieses Konzept [Healing Classrooms] darauf eingelassen. Bis dahin bin ich auch mit mir selbst überhaupt nicht achtsam umgegangen! Durch die Übung dann herauszufinden, was in mir passiert, was für Gefühle hochkommen… Sind das die Gefühle, die mich jetzt tatsächlich prägen? Und mit den Schülern versuchen anzugehen, in unterschiedlichen Situationen die Gefühle zu zeigen und somit ins Gespräch zu kommen, wie ich Stress empfinde, wann ich Angst habe, das ist super hilfreich gewesen. 

Parallel haben wir mit der Klasse gemeinsam das Buch „Geil, das peinliche Foto stellen wir online“ gelesen. Da geht es um Cybermobbing und überhaupt Mobbing im Kontext Klasse. In Kombination mit den Vorschlägen von Healing Classrooms haben wir unsere Klassenregeln entwickelt, um deutlich zu machen, [dass] wir uns jetzt entscheiden können, ein gutes Team zu sein und miteinander so umzugehen, dass es ermutigend und stärkend ist. Und uns dagegen entscheiden, dass es Klassenkameraden gibt, die andere fertig machen; dass wir bewusst etwas dagegen stellen. 

Zeynep Tan, Fachbereichsleitung Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf ohne Deutschkenntnisse (VABO), Klassenlehrerin: Was mir in diesem Schuljahr gefehlt hat und was ich im neuen Schuljahr, wenn wir regelmäßig in Präsenz sind, für meine Klasse möchte, ist feste Achtsamkeitseinheiten einzubauen. Ich möchte Gelegenheiten für Schüler*innen schaffen, Achtsamkeit zu üben, was du, Rolf, schon angesprochen hast.  

Was ich auch bemerkt habe, ist, dass im Vergleich zum Vorjahr [2019/20], als Corona-Schließungen erst später im Schuljahr angefangen haben, wir [im Vorjahr] bereits etablierte Klassengemeinschaften hatten, mit denen wir gut arbeiten konnten; Freundschaften waren bereits entstanden. Die sind diesmal leider nicht entstanden. Es blieb bei der Grüppchenbildung. Was ich aber toll fand, war, dass die Schüler*innen trotzdem diese Gemeinschaft gesucht haben, dieses Zusammensein, und dann auch nicht wollten, dass ich sie [im virtuellen Unterricht] in die Kleingruppen schicke. Oder sie sind sehr schnell von der Gruppenphase zurück ins Plenum gekommen und wollten einfach noch mit den anderen rumalbern, sich einfach sehen. Sie haben es vermisst, das Miteinander. 

IRC: Ihr habt gerade den beOnline Preis gewonnen, könnt ihr dazu was erzählen? 

Zeynep Tan: Ich habe gejubelt, als ich die E-Mail über den Preis gesehen habe! Gute Arbeit, Rolf! 

Rolf Schirrmacher: Der Preis war für mich eine Bestätigung, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, richtig war.  [Es war richtig] am Anfang des Schuljahres in Kauf zu nehmen, dass ich nicht den gewöhnlichen Weg gehe, sondern verrückte Sachen ausprobiere und umsetze, die nicht so normal sind im Lehrerberuf. Gleichzeitig aber auch das Team dafür zu haben; den Preis haben wir in der Kategorie „fachpraktischer Unterricht“ gewonnen. In der Begründung, warum wir den Preis bekommen haben, wird dann auch noch genauer erklärt, dass das Gesamtkonzept von fachtheoretischem und fachpraktischem Unterricht und die Zusammenarbeit innerhalb des Lehrerteams die Jury überzeugt hat, und dass die Kolleg*innen aus der Werkstatt kreativ waren, wie sie den online Unterricht mit der Werkstatt verknüpft haben. 

Zeynep Tan: Das soll man nicht unterschätzen: was die Werkstattlehrerin Frau Hülter vorbereitet hat waren nicht nur irgendwelche Aufgaben, die die Schüler zu Hause erledigen sollten. Sondern es waren pädagogisch tief überlegte Aufträge, die erst von ihr in der Werkstatt gesägt und dann so vorbereitet wurden, dass die Schüler*innen zu Hause die Sachen weiter zusammenleimen und anmalen konnten, wie beispielweise ein Murmelbahn-Labyrinth.   

IRC: Vorhin habt ihr erwähnt, dass der Healing Classrooms-Ansatz bei der Bewerbung eine Rolle gespielt hat. Inwiefern? 

Rolf Schirrmacher: Es war meine Initiative als Klassenlehrer, dass ich Healing Classrooms im Alltag und im Unterricht, auch online, leben möchte. Durch meine Rolle als Klassenlehrer ermutige ich auch andere Kolleginnen. Ich würde es so sagen: Healing Classrooms hat mir geholfen, mit meinen Mitmenschen auf eine Weise umzugehen, die dann den Preis ermöglicht hat.  

IRC: In diesem Fall war Healing Classrooms also nicht nur ein Ansatz zur Arbeit mit Schüler*innen, sondern auch zur Zusammenarbeit im Kollegium? 

Rolf Schirrmacher: Healing Classrooms sehe ich als eine Haltung; meine Haltung ist ja nicht auf bestimmte Kontexte begrenzt. Für mich ist eine Haltung nur dann authentisch, wenn ich sie auch wirklich lebe, und nicht zu Hause jemand anderes bin, in der Schule nochmal jemand anderes und im online Unterricht dann auch noch ganz anders. Ich muss in allen Kontexten der Rolf bzw. Herr Schirrmacher sein. 

IRC: Vielen Dank für das Gespräch!